Technokrat*innen
bücking&kröger
Stefan Eichhorn
Fabian Reimann
Florian Rynkowski
Die Technokratie war eine wesentliche soziale Utopie des frühen 20. Jahrhunderts in Nordamerika. Viele der Forderungen der 1920 gegründeten Technocracy Inc. wirken aktuell wie nie: bedingungsloses Grundeinkommen, 4-Tage-Woche, Wohlstand für alle, ressourcenschonender Umgang in allen Belangen, Abschaffung des Geldes. Dieses Ausstellungsprojekt rekonstruiert das heute nahezu unbekannte Bühnenstück »technocrats« aus den wenigen erhaltenen Materialien zu Choreografie, Musik, Kostüm und Bühnenbild. Man erkennt, wie damals Bewegungen, denen Analysen von Arbeitsprozessen zugrunde lagen, zu einer Choreografie verwandelt wurden.
2024
Es gibt dieses Statement zu der Entstehung des Stücks „technocrats“, das übersetzt und neu eingesprochen worden ist. (8:50 Minuten)
Egon Eiermann gilt als einer der Gestalter, durch den nach dem Zweiten Weltkrieg in Westdeutschland wieder an die Gestaltungstradition der Moderne angeknüpft wurde. Ein moderner Klassiker wurde ein Tisch von 1953, eine Konstruktion aus wenigen Rundrohren. Der Eiermann-Tisch steht wie wenige andere Möbel für Rationalität und Ingenieursgeist. Das weltbekannte Modell ist die leichte Variante von Adam Wieland.
Hier ist die erhöhte Variante mit einem großflächigen Raster ein Display der Ausstellung.
Kernthesen der Technokratie-Bewegung waren in einer Folge von 80 Bildern zusammengefasst worden, die hier digital rekonstruiert präsentiert wird.
Zwei große schwarze Metallringe, die von sechs Metallstäben verbunden sind bilden zusammen mit wenigen Bügeln und zwei kleinen Metallflächen ein sogenanntes Rhönrad. Dieses Sportgerät wurde von Otto Feick entwickelt und 1925 zum Patent angemeldet. Innerhalb kurzer Zeit wurde es sehr populär. Sein Erfinder stellte es 1929 in den USA vor. Wahrscheinlich sind einige Mitglieder der technocracy inc. bei einer Präsentation des Rades gewesen.
Das Interesse der Technokrat*innen am Rhönrad erklärt sich aus der Form und Vermessung des menschlichen Körpers. Dieser Doppeleffekt wird den ersten verschriftlichten und Maße definierenden Darstellungen, dem weltbekannten vitruvianischen Menschen von Leonardo da Vinci und entfernt auch den Schriften Albrecht Dürers.
Vermessung und Inszenierung sind in diesem Fall synchroner als bei allen anderen sportlichen Disziplinen.
In dem Video werden Da Vinci, Dürer und das Patent gemischt.
In der Vitrine auf dem Tisch befinden sich einige Blätter zur Tanznotation, anhand derer die Bilder, Szenen und Abläufe des Stücks rekonstruiert werden konnten. Bis zum Schluss konnte nicht einwandfrei geklärt werden, ob es sich lediglich um eine Tanzperformance handelt oder mit dieser auch eine Form der Übungspraxis für Technokrat*innen einhergegangen ist. Aufgefundene Worte und Texfragmente legen nahe, dass sich hinter der Performance ein größeres philosophisches Konzept verbirgt, das die Übersetzung der technokratischen Theorie in Körperbewegungen übersetzt. Begriffe wie beispielsweise Energiegewinnung, Schub oder Zug könnten so aus ihrem Sein als Denkgebäude herausgelöst und mittels Übungsaufgaben täglich / regelmäßig körperlich erfahren und verinnerlicht worden sein.
Die grauen Rahmen, die auf den typgleichen Objekthaltern des Ausstellungsdisplays sind, zeigen Bewegungsstudien und -muster.
Die Holzringe, deren Zweck es war für „frühkindliche körperliche Erziehung“ eingesetzt zu werden sind zu einem rudimentären Globus montiert worden. Sie wären maximale Ausdehnungen des Bewegungsraumes. Dieser leicht gestauchte Ball könnte eine Anlehnung an die Darstellung des vitruvianischen Menschen sein. Diese raumgreifende Umsetzung findet ihre Forsetzung in einem Isokaeder.
Der Tänzer und Tanztheoretiker Rudolf von Laban, Pionier des modernen Ausdruckstanzes, hat diese Form gewählt, um in der Tanzausbildung Bewegungspunkte in einem dreidimensionalen Objekt einzusetzen.
Auf- bzw. Abwärtsbewegungen sind zwischen farbigen Kugeln in die Luft gezeichnet.
Das Buch The World Set Free enthält den kompletten Roman von Herbert George Wells von 1912 und wurde um einen Bildessay erweitert, durch den die Zukunftsprognosen des Textes interpretiert werden.
In den 1920er Jahren war Wells ein weltweit bekannter Autor, ein Begründer des gesamten Genres Science Fiction, wie Mark von Schlegell schreibt. Für die Technokratie-Bewegung sind mit Sicherheit die Kapitel besonders interessant, in denen die Abschaffung des Geldes zugunsten von eines Wertschöpfungssystems beschrieben wird, das auf Verfügbarkeit von Energie basiert.
Die hier ausgestellten Partiturfragmente ähneln Schaltplänen. In einer durchoptimierten Gesellschaft könnten Schaltpläne auch als Organigramme größerer sozialer Zusammenhänge dienen, hier sind sie musikalische Spielanleitung.
Leider sind keine gesicherten Erkenntnisse über die ursprüngliche Instrumentation überliefert. Deshalb konjugiert die Arbeit verschiedene plausible Möglichkeiten durch. Akustisch erzeugte Klänge, Klangsynthese und Sampletechnik kommen dabei zum Einsatz.
Die hier gezeigte Rekonstruktion eines größeren Teilstücks technokratischer Kunstmusik aus einzelnen Fragmenten, ist der Lachhab-Methode zu verdanken. Eigentlich wurde sie vom Geophysiker Ahmed Lachhab entwickelt, um antike römische Mosaike mithilfe geophysikalischer Kenntnisse zu restaurieren.
Die Rekonstruktion lässt trotz ihrer scheinbar rein zweckmäßigen Anlage bei längerem Hinhören- und schauen weitere Deutungsmöglichkeiten zu. So lassen sich vermutlich intendierte poetische Motive oder therapeutische Potenziale ableiten.
Die Uniform einer utopischen Bewegung vereint Eleganz und trügerische Funktionalität in einem dunkelgrauen Tweed-Overall, der seinen Träger in eine zeitlose Ästhetik hüllt. Inspiriert von Kostümen aus Science-Fiction-Filmen vergangener Jahrzehnte, strahlt der Overall eine Mischung aus Retro-Futurismus und modernem Design aus. Bei genauerem Hinsehen offenbart sich ein weiteres Detail: Das rote Innenfutter ist mit einer Zeichnung verziert, die auf das philosophische Paradoxon von Achilles und der Schildkröte anspielt. Dieses be-schreibt einen scheinbar unüberwindbaren Widerspruch, bei dem der schnellere Läufer Achilles seinem langsameren Konkurrenten, der Schildkröte, einen Vorsprung einräumt. Obwohl Achilles viel schneller ist, scheint er die Schildkröte nie einzuho-len, da er immer nur den Punkt erreicht, an dem die Schildkröte zuvor war und somit ein unendlich kleiner Zeitunterschied bleibt. Das Paradoxon dient hier als allegorisches Bild für eine Utopie, in der trotz stetigen Fortschritts und individueller Fähigkeiten immer neue Horizonte erobert werden, ohne jemals die Vollendung einer idealen Gesellschaft zu erreichen.